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AutorenbildVerena

Über die Langsamkeit



Manchmal erscheint es mir schon fast verrückt wie lange es dauert... Menschen nach Operationen gehen in eine Reha und erholen sich meistens in ein paar Wochen oder Monaten... Long Covid bleibt... Wochen... Monate... Jahre...


Wochen, Monate und Jahre in denen die Welt wie still steht.


Wie viel Kraft es braucht, alleine nur das auszuhalten ohne dabei depressiv zu werden, das kann sich kein gesunder Mensch vorstellen. Ich war immer ein schneller Mensch... jetzt bin ich die langsamste Version meiner Selbst und es hat ein knappes Jahr gedauert, dass ich das annehmen konnte.


Vor einem Jahr geriet alles endgültig aus den Fugen und mein Körper kam nicht mehr hinterher... damals befand ich mich im Krieg mit mir selbst... ich wollte auf keinen Fall meinen Minijob aufgeben, geschweige denn meine Selbstständigkeit und ich zwang meinen Körper weiter zu machen, obwohl ich mich längst nicht mehr regenerieren konnte. Mein Lebenstempo und die Erkrankung standen sich im Weg und meine Symptome feierten die Party ihres Lebens.


Ein Jahr später liegt so viel Langsamkeit hinter mir... so viel mich zurückhalten müssen, damit die Baseline nicht kippt, so viel Absagen müssen, weil es zu viel wäre Menschen zu sehen, so viel Verluste von dem, was ich mal dachte, dass es mein Leben wäre... viel Leere, weil manche Tage einfach nur endlos lang erscheinen und die Nächte sich ebenfalls in die Länge ziehen, weil der Körper nicht mehr schlafen kann... so viele Stunden auf dem Sofa in einem dunklen komatösen Strudel gefangen aus dem es kein Entkommen gibt...


In der Langsamkeit beginnt sich über die Zeit etwas zu verändern... es entsteht ein neuer Lebensrhythmus … es kommt ein bisschen mehr Ruhe hinein, weil man sich irgendwann an das kleine Leben gewöhnt hat und friedlicher damit werden kann...


In der Langsamkeit beginne ich wieder mehr zu atmen, mehr kleine schöne Momente zu entdecken und mich selbst zu spüren...


In der Langsamkeit und dem nicht mehr teilnehmen am „normalen“ Leben entsteht Raum für das, was all die Jahre weggedrückt wurde...


In der Langsamkeit entsteht Dankbarkeit für die Dinge die möglich sind...


Und ganz langsam beginne ich etwas zu spüren... etwas was jenseits von meinem Kopf und meinen Vorstellungen über das Gesund werden schwingt... ich beginne das Tempo meines Systems zu spüren.. ein Tempo was so anders ist, als ich es gerne hätte... so verdammt langsam, dass ich gerne rennen, schreien und stampfen möchte...


Ich spüre es wie ein dunkles Raunen unter allem... ein ruhiger, beständiger Ton... ein ruhiger, friedlicher Rhythmus der seinem eigenen Tempo folgt.... ich fühle wie sich in kleinen Schritten mehr Energie in mir aufbaut... ich nehme wahr, wie sich mein System etwas schneller erholt nach einer Belastung... und ich erkenne, dass es darum geht diesem Rhythmus zu vertrauen... mit ihm in Verbindung zu sein und anzunehmen, dass Heilung ihre eigene Zeit hat und sich das nicht beschleunigen lässt, weil mein Kopf es gerne anders hätte.




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