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AutorenbildVerena

Warum du mehr als über deinen Vagusnerv nachdenken solltest...

wenn du wirklich lernen willst dein Nervensystem zu regulieren.



Wenn wir über ein dysreguliertes Nervensystem sprechen, dann sprechen wir über den Sympathikus, den ventralen Parasympathikus und den dorsalen Parasympathikus und nicht nur über den Vagusnerv (der natürlich wichtig ist). Aber ich sehe so viele Posts auf Instagram in denen Vagusnervübungen als DAS Tool angepriesen wird und das ist einfach zu einseitig.


Was ist der Vagusnerv:

"Der Vagusnerv ist einer der Hirnnerven, der relativ viele Organe des menschlichen Körpers beeinflussen kann. Als einziger Hirnnerv reicht er vom Gehirn über das Herz, die Lungen, Leber und Milz bis in den Magen-Darm-Trakt. Sein Name kommt vom lateinischen „Nervus vagus“, was so viel wie "umherwandernder Nerv" bedeutet. Er leitet sich von der Idee ab, dass der Nerv weitläufig in unserem Körper umherschweift. Er übermittelt die Funktionen der inneren Organe an unser Gehirn und ist an der Regulierung des jeweiligen Organs direkt beteiligt. Als Teil des Parasympathikus und Gegenspieler zum Sympathikus steuert der Nervus vagus das parasympathische vegetative Nervensystem und damit unbewusst ablaufende Funktionen im Körper. So spielt der Vagus beispielsweise bei der Verdauung, Atmung, Herzfrequenz, Speichelbildung oder der Nierenfunktion eine wichtige Rolle". Dr Kroemer


Der Vagusnerv ist also super wichtig und dem Parasympathikus zuzuordnen...

Wenn wir über die Regulation des Nervensystems sprechen, dann geht es nicht nur darum immer ruhig zu sein oder darum das System zu beruhigen, wenn es aktiviert ist. Wenn wir anfangen uns immer beruhigen zu wollen, sobald wir Aktivierung wahrnehmen, dann überschreiben wir das sympathische Nervensystem und drücken seine Art sich Auszudrücken weg.


Wenn wir ganzheitlich mit dem Nervensystem arbeiten wollen, dann dürfen wir uns bewusst machen, dass alle Aktivierungszustände erstmal zu unserer menschlichen Erfahrung dazu gehören und nichts davon schlecht ist. Was allerdings nicht gesund ist, ist in den Zuständen von Dysregulation hängen zu bleiben und dafür braucht es unsere proaktive Unterstützung.

Wir können sowohl chronisch überaktiviert in "Fight/Flight" sein (also sympathisch), als auch chronisch unteraktiviert im "Shutdown" (dorsal parasympathisch) aber auch ständig zwischen diesen zwei Zuständen hin und her springen. Im "Freeze" findet ein Zwischenzustand von sympathischer und dorsal parasympathsicher Aktivierung statt.


In der Polyvagaltheorie bedienen wir uns hier dem Bild einer Leiter auf der wir lernen dürfen uns zu bewegen und es gibt eine Hierarchie auf dieser Leiter.


In kurz und knapp bei einer aktuellen (nicht chronisch) Überaktivierung des Systems:


Um aus einer sympathischen Überaktivierung (Fight/Flight) wieder rauszukommen, braucht es erstmal Aktivierung (und eben keine Beruhigung). Das System braucht eine Möglichkeit den biologisch erlebten Stress ausdrücken zu können durch Bewegung, Körper abklopfen, Geräusche aus der Kehle kommen lassen etc. Dadurch pendelt es sich dann natürlich wieder in einen regulierten Zustand zurück. In der Tierwelt zittern Tiere oft um den Stress abzubauen und kehren dann zurück zur Herde (daher kommt der Gedanke dass schütteln Stress abbaut) und auch Co-Regulation unterstützt natürlich bei der Regulierung. Das erklärt auch warum es super schwer ist in diesen Zuständen ruhig zu meditieren etc. das System braucht erst Aktivierung bevor es in die Entspannung kommen kann.


Um aus einer dorsalen parasympathischen Unteraktivierung (Freeze/Shutdown) wieder in Regulation zu kommen, gilt es das System erstmal ganz sanft zu aktivieren (es ist ja erstarrt und immobilisiert) durch sanfte Bewegung, Berührung, Atmung etc. und oft kommt dann eine kurze Phase im Sympathikus in der vielleicht Wut, Frust etc. gespürt und ausgedrückt werden darf und dann reguliert sich das System.



Wenn wir chronisch dysreguliert sind, ist es natürlich auch super wichtig regelmäßig das Nervensystem proaktiv in eine Regulation wie einzuladen (es gelingt nicht immer) und dafür sind Vagusnervübungen natürlich super geeignet. Das Nervensystem kann so lernen wieder zurück in einen Flow zu kommen - bei Regulationsfähigkeit geht es um Flexibilität, also darum, dass man sich auf der Leiter flexibel hin und her bewegen kann.


Aber wenn wir akuten Stress haben, dann dürfen wir auch lernen ein Container dafür zu werden, es auszuhalten, ihm Raum für Ausdruck zu geben (in dem wir uns nicht selbst verlieren) und nicht einfach Empfindungen/Emotionen wegdrücken, weil wir sie nicht spüren wollen.


UND... bei einer Belastungsintoleranz ist die Toleranz um das zu fühlen natürlich eingeschränkt... es macht keinen Sinn deine Wut 40 Minuten körperlich auszudrücken, das liegt auf der Hand... aber es macht Sinn diese Wut mal für 3 Minuten zu spüren und dann z.B. mit der Schmetterlingsumarmung aus den S-O-S Übungen sie für 5 Minuten auszudrücken, dabei alle Geräusche zu machen, die aus deiner Kehle wollen und dann den Rest der S-O-S Übungen zur Regulation zu nutzen.



Eine kleine Inspiration:





Wenn wir wirklich bewusst mit dem autonomen Nervensystem arbeiten wollen, dann sollten wir uns auch die Zwischenzustände ansehen, die nämlich sowohl für den Aufbau der Baseline, als auch für die Regenerationsfähigkeit unerlässlich sind und da gehört der Sympathikus auch dazu!


Es gibt eine Art Sweetspot von sympathischer und ventral parasympathischer Aktivierung. Das ist der Bereich von Spielen, Neues ausprobieren, Abenteuer, ein bisschen aus der Komfortzone gehen (ohne sich dabei zu zu verlieren), Neugier, Aufregung... Das ist der Bereich in dem wir unser Stresstoleranzfenster erweitern können (also unsere Baseline). Essentiell dabei ist, dass wir trotzdem ventral aktiviert sind, uns also immer noch sicher, präsent und mit uns verbunden fühlen – mit dieser Voraussetzung kann das System Aufregung (was ja auch Stress ist) leichter tolerieren und positive Erfahrung beim Erleben von Stress abspeichern.


Der andere Sweetspot ist unser sogenannter Rest&Digest Zustand – eine Kombination aus ventraler und dorsaler Aktivierung. Wir sind quasi sicher immobilisiert, das bedeutet wir schlafen und verdauen erholsam und unser Körper kommt in einen Zustand von REGENERATION. Hier können wir auch gut meditieren oder erleben Spiritualität.


Was ich damit sagen möchte ist, dass unser Nervensystem komplexer ist, als dass es nur um den Vagusnerv geht UND dass auch der Sympathikus und der dorsale Parasymapthikus für unsere Heilung wichtig sind.


Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen wie unterschiedlich unsere Gedanken von den Aktivierungszuständen beeinflusst werden und dass es extrem hilfreich sein kann dies einordnen zu können.


In einem sicher verbunden Zustand mit uns und der Welt (ventral) können wir zuversichtliche, klare Gedanken denken, Entscheidungen treffen und die Realität gut wahrnehmen.


In einem Zustand von empfundener Gefahr (sympathische Überaktivierung) denken wir, dass wir etwas tun müssen, oder von etwas weg müssen, wir versuchen verzweifelt Lösungen zu finden sind dabei aber nicht in Sicherheit sondern bedroht, wir haben Gedankenchaos, bekommen nicht mehr alles mit und erleben die Realität als bedrohlicher, als sie ist. Das ist der Zustand indem wir verzweifelt recherchieren, zu allen Ärzten rennen und hoffen eine Lösung zu finden (ich muss was tun, es muss eine Lösung geben, ich muss sie finden, koste es was es wolle). Dabei verlieren wir den Kontakt zu uns selbst und überfordern meistens das eigene System.


In einem Zustand von empfundener Lebensgefahr (Freeze (sympathisch/dorsal) oder Shutdown (dorsale Unteraktivierung)) sind unsere Gedanken total und hoffnungslos. Es wird nie wieder besser werden, ich werde nie gesund werden, es kann mir keiner helfen, es macht alles keinen Sinn mehr, mein Leben fühlt sich sinnlos und leer an. Hier entstehen Depressionen, hier entstehen Selbstmordgedanken, hier entsteht Leere. Und hier ist es essentiell wichtig zu verstehen, dass sich diese Gedanken auch wieder verändern, wenn wir zurück in einen regulierten Zustand kommen.


Wir dürfen diese Aktivierungszustände auf einer Skala betrachten. Ein Zustand von Freeze/Shutdown/Fight/Flight auf einer 2 oder 3 oder 4 lässt sich oft selbst ganz gut lösen, wenn wir uns aber auf einer 8 oder 9 bewegen, ist es wichtig zu erkennen, ab wann man Hilfe benötigt (und dafür einen Notfallplan parat haben).


Es ist natürlich fast unmöglich in wenigen Worten einen wirklich allumfassenden Einblick in dieses Thema zu geben, aber vielleicht konnte ich dich ein bisschen mitnehmen. Zur Vertiefung und wirklichen Auseinandersetzung mit dem autonomen Nervensystem sind die Bücher von Deb Dana sehr zu empfehlen.




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